Lektion 2 von 11

Lektion 2: Herausforderung

"Zur Epidemiologie wirkungsloser Aufklärung"

In den vergangenen Jahren wurde viel getan, um die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten zu stärken und die Qualität verfügbarer Patienteninformationen zu verbessern. Zudem wurde das Recht auf eine verständliche und umfassende Aufklärung explizit in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Das klingt zunächst gut, aber im Praxisalltag treffen Zahnärztinnen und Zahnärzte auf eine Reihe von Hemmnissen und Hindernissen, die einer gelingenden Kommunikation häufig im Wege stehen. 

Schon in den 1970er und 1980er Jahren lieferten Studien Hinweise darauf, dass ärztliche bzw. zahnärztliche Kommunikation unter erschwerten Bedingungen stattfindet: So zeigten Anderson et al. (1979), dass Patienten bis zu 80 Prozent der Inhalte eines ärztlichen Aufklärungsgesprächs unmittelbar nach dem Arztbesuch wieder vergessen hatten. Und mehr noch: Fast die Hälfte der erinnerten Informationen wurden falsch wiedergegeben (vgl. auch Kessels et al. 2003, Keulers et al. 2008). 

In einer späteren Untersuchung von Rost & Roter (1987) verstanden und erinnerten Patientinnen und Patienten in der Kommunikation mit (Zahn-)Ärztinnen, (Zahn-)Ärzten und medizinischem Fachpersonal weniger als die Hälfte der angebotenen Informationen. Dabei scheinen Informationen, die mit negativen Affekten besetzt sind, besonders leicht in Vergessenheit zu geraten. So zeigten Bieda et al. (1997), dass ein Drittel der Patientinnen und Patienten alle angesprochenen Risiken einer Behandlung vergessen hatte.

Neben dem Zeitdruck im Praxisalltag und nach wie vor fehlender gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen dürfte auch die besondere Situation der Patientinnen und Patienten eine entscheidende Rolle spielen: Sie haben im Behandlungssetting vielleicht Angst vor der Behandlung oder leiden unter Schmerzen.

All das erzeugt Stress und erschwert die Informationsverarbeitung erheblich: Viele Informationen werden unter diesen Bedingungen gar nicht wahrgenommen und das Gedächtnis wird gestört. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Menschen über eine eingeschränkte Literalität verfügen:

6,2 Millionen Deutsche zählen zu den funktionalen Analphabeten und haben erhebliche Schwierigkeiten, Texte zu lesen, geschweige denn sie zu verstehen (Grotlüschen et al. 2019). Das wirkt sich auch auf die mündliche Kommunikation aus.

Im Praxisalltag gerät all das schnell in Vergessenheit, denn wir neigen dazu, Verständnisprobleme zu unterschätzen und die kognitiven Fähigkeiten unserer Patientinnen und Patienten zu überschätzen (vgl. Hibbard et al. 2013, Keulers et al. 2008, Hancock et al. 2007, Britten et al. 2000, Calkins et al. 1997). Dieses Dilemma führt in vielen Fällen zu Kommunikationsstörungen – mit allen daraus folgenden Konsequenzen für das Vertrauen in der Zahnarzt-Patienten-Beziehung.

Aufklärungspflichten gemäß § 630e BGB

(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

 (2) Die Aufklärung muss ...

  1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält, 
  2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
  3. für den Patienten verständlich sein.